Der Spritz-Ess-Abstand (SEA; oder bei Pumpenträgern auch Drück-Ess-Abstand DEA) ist ein Begriff aus der Insulintherapie. Er bezeichnet die Zeitspanne zwischen Injektion des Bolusinsulins und dem Beginn der Nahrungsaufnahme.
Was es damit auf sich hat ist vom Prinzip her schnell erklärt: Die Kohlenhydrate der Nahrung fluten ja irgendwann einmal im Blut an. Beim Gesunden folgt dann recht schnell eine Insulin-Antwort der BSD, die beim insulinpflichtigen Diabetiker ausbleibt. Der muss sich (zumindest bei der ICT und der CSII) das für die Kohlenhydrate aus der Nahrung nötige Insulin - in der Regel subkutan in das Unterhautfettgewebe - zuführen. Von dort wird es mehr oder weniger langsam resorbiert (siehe auch den Abschnitt über Resorption) und gelangt so ins Blut.
Die Kunst den BZ nicht zu stark schwanken zu lassen liegt also darin, das Anfluten der Glucose wie auch des Insulins im Blut zeitlich möglichst genau aufeinandertreffen zu lassen. Die Resorptionsgeschwindigkeit selbst kann man nur schlecht beeinflussen (wer mag sich schon einen Fön auf die Spritzstelle richten, um die Durchblutung anzuregen), also bleibt einem zur Einflussnahme der SEA/DEA.
Der bei Normalinsulin oft anfallende SEA sollte zunächst mit Einführung der schnell und kurz wirkenden Analoga entfallen - so wollte es zumindest die Werbung glauben machen. Mittlerweile setzt sich aber auch hier wieder die Erkenntnis durch, dass der SEA nicht nur eine Insulinbesonderheit darstellt sondern als therapeutische Größe im täglichen Diabetesmanagment auch bei den Analoga durchaus seine Berechtigung hat. Der Unterschied zu den Normalinsulinen besteht oft nur in den verwendeten Zeiträumen, die im Allgemeinen bei den Analoga kleiner sind. Ein Umstand, der meiner Meinung nach die Lebensqualität durchaus erhöhen kann.
Aber selbst wenn man die Resorptionsgeschwindigkeit kennt oder maßgeblich beeinflussen könnte, so kommt dennoch der Faktor Glucoseresorption hinzu. Und der kann je nach Nährstoffanteilen der Nahrung ziemlich variieren, wie ja aus dem Abschnitt über die hervorgeht. Da diese beiden Einflussgrößen bei jedem Menschen unterschiedlich ausgeprägt sein können bleibt nur "Ausprobieren" (Trial and Error).
Für den Fall sind natürlich postprandiale (pp; nach dem Essen) Werte obligat. Erst deren genaue Interpretation bringt einen dem konkreten Einzelfallhinweis näher.
Der postprandiale BZ darf natürlich gegenüber dem präprandialen (vor dem Essen) ansteigen. Nur sollte besonders beim Ein-Stunden-Wert die 200 mg/dl Grenze nicht signifikant überschritten werden, und der 2h-Wert sollte unter 160 liegen. Man muss überdies die jeweiligen Wirkungsspektren der verwendeten Insuline berücksichtigen. Wird für Normalinsulin noch eine Gesamtwirkdauer von 5-7 Stunden angegeben, so sind es bei den Analoga nur noch 3-5. (Die Ausnahme bestätigt die Regel und ist insbesondere auch von der Gesamtdosis abhängig)
Von Wichtigkeit ist dies insofern, als dass es ungünstig ist, in ein noch wirkendes Insulinprofil eine Korrekturdosis zu spritzen.
Aus gegebenem Anlass möchte ich noch einmal den Unterschied zwischen BZ-Korrektur und Dosis-Korrektur hervorheben: hat man festgestellt, dass man sich bei der Dosisfestlegung verrechnet hat, dann darf man die Differenz selbstverständlich nachlegen. Ebenso, wenn man mehr BE als ursprünglich veranschlagt zu sich nehmen möchte. Man sollte halt nur einen postprandial gemessenen BZ nicht zu früh mit einer erneuten Insulindosis reduzieren wollen. Bei Verwendung eines Normalinsulins würde ich drei Stunden warten, bei Analoga zwei. (Ausnahme: Korrektur bei Fettsäureresistenz oder Ketoazidose. Hier kann man gemäß den mit dem Arzt vereinbarten Korrekturrichtlinien entsprechend früher "nachlegen". Sie haben mit ihrem Arzt sowas noch nicht festgelegt? Dann wäre es eine gute Idee, das mal nachzuholen
)
Treten Unzulänglichkeiten bei den pp-BZ auf, ist es nicht verkehrt, erst einmal folgende Faktoren zu überprüfen:
- Stimmt die Basaldosis?
- Stimmt der BE-Faktor mit der jeweiligen Tageszeit?
- Stimmt der evtl. verwendete Korrekturfaktor?
- Können Fehler bei der Insulingabe ausgeschlossen werden?
- Besteht eine zeitweilig erhöhte Insulinsensitivität nach körperlicher Belastung?
- Sind die BE richtig berechnet?
- Liegt vielleicht eine Magenentleerungsstörung (Gastroparese) vor?
Dann kann man sich dem SEA zuwenden:
- Sinkt der BZ pp zunächst stark ab?
- SEA zu lang gewählt; Ausgangs-BZ zu niedrig oder eh im Sinken begriffen.
- Steigt der BZ pp stark an?
- SEA zu kurz gewählt; Fettsäureresistenz bei länger vorliegendem BZ über 140 mg/dl oder eh im Anstieg begriffen.
- Sinkt der BZ zunächst ab und steigt dann zu hoch an?
- SEA zu lang gewählt und BE zu niedrig eingeschätzt.
- Steigt der BZ zunächst an und sinkt dann stark ab?
- SEA zu kurz gewählt und BE zu hoch eingeschätzt.
Um das Phänomen der Nierenschwelle zu kennen reicht es aus zu wissen, dass sie eine Art »Überdruckventil« ist, das Glucose ab BZ-Werten von ca. 160-180 mg/dl mit dem Urin aus dem Körper ausschwemmt.
Um näher verstehen zu können warum das so ist müssen wir uns jedoch ein wenig mit der Funktionsweise der Nieren und daher mit den Begriffen Osmose und Diffusion befassen.
Beiden gemeinsam ist, dass sie einen Transport zwischen zwei Medien darstellen, die durch eine semipermeable (=halbdurchlässige) Membran getrennt sind.
Das geht solange vonstatten, bis ein »Konzentrationsausgleich« stattgefunden hat, also die Konzentration dieses Stoffes auf beiden Seiten der Membran gleich ist.

Osmose nennt man den Vorgang, wenn dabei das Lösungsmittel selbst von einer Seite der Membran zur anderen wandert, weil die Poren der Membran für den gelösten Stoff zu klein sind. Er kann sie nicht passieren, also kann nur ein Konzentrationsausgleich stattfinden, wenn das Lösungsmittel selbst vom Ort der niederen zum Ort der höheren Konzentration wandert. Die Kraft, mit der dieser Konzentrationsausgleich stattfindet erzeugt einen Druck, der auch als der »osmotische Druck« bekannt ist

Diffusion hingegen nennt man es, wenn die gelösten Stoffe selber vom Ort der höheren zum Ort der niederen Konzentration wandern. Dies ist immer dann möglich, wenn die Poren der Membran größer sind als die gelösten Stoffe selber. Ursache für diesen Transport ist, dass die in einer Lösung befindlichen Stoffe gegeneinanderstoßen und quasi versuchen "sich aus dem Weg zu gehen", indem sie sich zu einem Ort begeben, wo weniger von ihrer Art vorhanden sind.
Nachdem diese beiden grundlegenden Begriffe geklärt sind können wir uns der eigentlichen Nierenfunktion zuwenden.
Die Niere hat die Aufgabe: (Beispiele in Klammern)
- Ausscheidung von Stoffwechselprodukten (Harnstoff, Harnsäure, Kreatinin)
- Aufrechterhaltung der Elektrolytkonzentration im Blut (Natrium, Kalium)
- Aufrechterhaltung des Wassergehaltes
- Aufrechterhaltung des osmotischen Drucks
- Aufrechterhaltung des Säure-Basen-Gleichgewichts
- Ausscheidung von Fremdsubstanzen und deren Stoffwechselendprodukten
Um diesen Aufgaben nachkommen zu können wird in den Nieren zunächst einmal der sogenannte Primärharn gebildet. Bei Männern sind das etwa 125ml/min, bei Frauen etwa 110ml/min.
Der Körper bildet pro Tag also etwa 160 bis 180 Liter Primärharn pro Tag. Es ist klar, dass das nicht alles ausgeschieden werden kann; das meiste wird rückresorbiert. Übrig bleibt der Sekundärharn, und der beträgt etwa 1,5 bis 2 Liter pro Tag. (Zusätzlich verliert der Körper auch Flüssigkeit mit dem Stuhlgang, dem Schweiß und der Atemluft, aber das ist schon wieder eine andere Geschichte)
In den Primärharn werden auch Stoffe abgegeben, die der Körper noch braucht; die müssen also auch rückresorbiert werden.
Und jetzt kommt der entscheidende Punkt:
Wir hatten ja eingangs festgestellt, dass Osmose und Diffusion Transportvorgänge sind. Und Sie wissen auch, dass ein Transporter nicht unendlich belastbar ist. Dieser hier ist das auch nicht, es gibt ein sogenanntes »Transportmaximum«, das bei Glucose eine vollständige Rückresorption nur bis zu einem BZ von 160 bis 180 mg/dl ermöglicht.
Im Primärharn wird die Glucose aus dem Blut landen, egal wie hoch der BZ ist.
Aber aus dem Primärharn kann höchstens eine bestimmte Menge (siehe oben) zurück transportiert werden. Der Rest bleibt im Primärharn, der dann später zum Sekundärharn wird.
Und hier greift dann der osmotische Druck der Glucose: Der Rest, der nicht wieder in das Blut abgegeben werden kann, bindet Wasser im Primärharn, wodurch sich die Menge des Sekundärharns drastisch erhöht. Das Endergebnis ist eine Exsikkose (=Austrocknung des Körpers).
Aus den Nieren wandert der Sekundärharn in die Blase, die sich bei diesen Mengen natürlich schneller füllt und einen so häufiger zur Toilette führt. Der Körper verliert also viel Wasser und will das wieder ausgleichen, indem er das Durstgefühl steigert.
Die Folge ist, daß der Diabetiker, der wegen seines hohen BZs viel Wasser verliert (=Polyurie), auch viel trinkt (=Polydipsie).
Also muss man in diesem Fall nicht häufig zur Toilette, weil man soviel trinkt, sondern man muss soviel trinken, weil man so häufig zur Toilette geht!